“Mit medialen Hetzkampagnen wurde ein völlig einseitiges Bild von Griechenland in die Köpfe der Deutschen gestanzt.”

Während WATP mit Kofferpacken für den Roadtrip durch Griechenland beschäftigt waren erschien im Juli im Münchner iudicum Verlag ein interessantes Buch*: Über zwei Jahre lang haben WissenschaftlerInnen der Universitäten Hannover und Thessaloniki die Berichterstattung deutscher und griechischer Medien in der Griechenland-Krise untersucht.

WATP sprachen mit zwei der AutorInnen, Prof. Dr. phil. Hans Bickes vom Fachbereich Sprachwissenschaften der Universität Hannover und Prof. Dr. Eleni Butulussi, Leiterin der Abteilung für deutsche Sprache und Philologie der Universität Thessaloniki.

WATP:  “Herr Bickes, Frau Butulussi, wie lässt sich die Berichterstattung über die Eurokrise in Griechenland durch die deutschen Massenmedien zusammenfassen?”

H.Bickes: “Die deutsche Medien-Berichterstattung zur Staatsverschuldung Griechenlands setzte nach der Regierungsübernahme durch die PASOK ein, die ein sehr hohes Staatsdefizit einräumte.
Obwohl damals unter Fachleuten und auch in wichtigen Medien längst bekannt war, dass Griechenland bereits hochverschuldet in die Eurozone aufgenommen worden war (aus guten, unter anderem auch aus strategischen Gründen), begannen Medien mit hoher Reichweite, allen voran FOCUS und BILD,  über ihre Printausgaben und ihre Online-Auftritte die ,griechische Staatspleite‘ als zentrale Bedrohung des gesamten Euroraums zu inszenieren.
LeserInnen vieler deutscher Zeitungen mussten binnen weniger Wochen den völlig falschen Eindruck gewinnen, dass die verheerenden Auswirkungen des Zusammenbruchs großer internationaler Geldinstitute eigentlich hier, im kleinen Griechenland, ihren tatsächlichen Ursprung haben.

Während es schwer ist, Mobbing gegen Geldinstitute zu betreiben, fiel dies bei einem Land mit nur 11 Millionen Einwohnerinnen sehr leicht. Mit medialen Kampagnen, die als Hetzkampagnen qualifiziert werden können, wurde ein völlig einseitiges Bild von Griechenland in die Köpfe der Deutschen gestanzt.

Die Nation sei durch unaufhaltsamen Kulturverfall gezeichnet, die Griechen seien gar keine Nachkommen der edlen Helden der Antike sondern Abkömmlinge slawischer Unholde, die politische Klasse sei durch und durch korrupt, die Bevölkerung hinterziehe Steuern und feiere auf Kosten Europas wilde Partys. Dieses Bild der kulturverachtenden Pleite-Griechen‘, die ,unsere schönen Euros verbrennen‘, wird noch viele Jahre als stigmatisierendes Stereotyp unsere Perspektive auf das Land beeinflussen. Es gab zwar auch differenziertere Stimmen, doch wurden diese weitaus weniger wahrgenommen. Eine energische politische Distanzierung zu diesem medialen Zerrbild durch die Regierungskoalition in Deutschland unterblieb. Auf griechischer Seite kennzeichnen Entrüstung, Fassungslosigkeit und tiefe Verletzung des Ehrgefühls die Reaktionen; zum Teil brachen sich diese Gefühle Bahn in Artikeln, die mit einer Revitalisierung des Stereotyps „der Deutsche als Nazi“ spielten.”

E.Butulussi: “Weitere Berichte blickten auf Momente gemeinsamer Geschichte zurück, in denen Griechenland der Bundesrepublik zur Seite gestanden hatte, beispielsweise durch die Übersendung von Gastarbeitern zum Wiederaufbau Deutschlands in der Nachkriegszeit, und wiesen auf die langjährigen wirtschaftlichen Verschränkungen in Hinblick auf Rüstungsexporte hin, mit denen Deutschland erhebliche Gewinne erzielt habe.
An anderer Stelle wird argumentiert, dass die Deutschen ohnehin nicht das Recht hätten, die Griechen etwa hinsichtlich der im Land verbreiteten Korruption zu kritisieren, da sie selbst nicht ehrlich sind. Hingewiesen wird auf deutsche Schmiergelder und die aufgeblähten Provisionen für den Staat, die der griechische Steuerzahler bezahlen muss. Involviert seien drei große Unternehmen, nämlich Siemens, MAN und Daimler AG. Die Kritik an der deutschen Politik wird an der Person der Bundeskanzlerin, Angela Merkel, festgemacht.
Die Kritik der griechischen Journalisten richtet sich aber nicht nur gegen deutsche Medien, Politiker und Unternehmen, sondern auch gegen die griechischen Medien,  eigenen Politiker, sowie globalen Märkte und vor allem Banken. Es werden ferner viele Fälle dargestellt, an denen erkennbar wird, dass in allen Bereichen des staatlichen und privaten Sektors, z. B. im Gesundheits-, Erziehungswesen, die Folgen der Sparmaßnahmen für die Bevölkerung nicht ertragbar sind.”

WATP: “Im Rahmen des Buchprojektes haben Sie rund 600 deutsche und griechische Print- und Onlinemedien analysiert. Wie sind Sie dabei vorgegangen, was waren die Kriterien der Untersuchung?”

H.Bickes: “Das Projekt ging zunächst aus einem deutsch-griechischen Kooperationsprojekt für Studierende hervor. In Thessaloniki und in Hannover beschäftigten sich studentische Arbeitsgruppen parallel mit Medienberichten über die Krise und stellte erste Ergebnisse auf einem Kongress in Thessaloniki im Frühjahr 2010 vor.

Untersucht wurden nicht alle deutschen und griechischen Medien, sondern nur eine Auswahl, die in beiden Ländern das politische Spektrum abdecken und zudem von gewisser Bedeutung waren. Nachdem deutlich wurde, dass einige wenige Medien in Deutschland mit gefährlicher Reichweite die Meinungsführerschaft übernahmen, konzentrierten wir uns vor allem auf diese Medien und auf die Reaktionen der griechischen Zeitungen. 

In der Methode benutzten wir im theoretischen Rahmen der Kritischen Diskursanalyse vor allem sprachwissenschaftliche Zugriffe. Etwa wurden die Bezeichnungen für Griechenland analysiert, es wurden Attribute analysiert, die Griechenland oder den Griechen zugesprochen wurden, es wurde analysiert, mit welchen Mitteln eine pauschale Diskriminierung aller Griechen bewerkstelligt wurde, anstatt differenziert über die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen zu berichten. Ferner prüften wir, wer zu Akteuren in den Berichten gemacht wurde, und ob diesen die Rolle von Tätern oder die Rolle der Erleidenden zugewiesen wurde.

E. Butulussi: “Sehr ergiebig waren auch die Metaphern, mit denen die Krise, als Krankheit, als Bedrohung, als Naturgewalt etc. charakterisiert wurde. Auf griechischer Seite interessierten wir uns vor allem auf Fragen der Dialogizität – also darauf, wie auf die deutschen Vorwürfe und verletzenden Artikel reagiert wird.”

WATP: “In Griechenland gibt es eine breitere Auswahl an alternativen Online-Medien, die jenseits des Mainstream über die Krise berichten. Inwiefern lassen sich Unterschiede zwischen der Beeinflussung der Meinung innerhalb der griechischen bzw. deutschen Bevölkerung durch die Medien ausmachen? Ist eine der beiden Lesergruppen “leichter” zu manipulieren?

E.Butulussi:Die Strategie „Teile und herrsche“ wird in einigen  griechischen Medien konsequent verfolgt. Heute  stigmatisieren sie bestimmte berufliche Gruppen, z.B. Lehrer aller drei Erziehungsstufen,  wenn neue Gehaltskürzungen vorgenommen werden sollen. Morgen wenden sie sich gegen Migranten und Flüchtlinge, die an der Krise schuldig gemacht werden, usw.

Noch ein Beispiel: Im griechischen Fernsehen werden Sendungen ausgestrahlt, in denen die Meinung vertreten wird, dass Griechenland seine Goldvorkommen nutzen soll, um seine Schulden zu bezahlen. Nur in alternativen Online-Medien wird die andere Seite der Medaille gezeigt, nämlich, dass Griechenland die Rechte für die Ausbeutung der Minen längst sehr billig verkauft hat. Das verdiente Geld fließt aus dem Land und Profiteure sind ausländische Konzerne. Die Griechen sollen dann die langfristigen Konsequenzen der Umweltzerstörung ziehen. Im Fernsehen werden die zum Teil aggressiven Demonstrationen der Bevölkerung und der Widerstand in den betroffenen Regionen nicht gezeigt.”

H.Bickes: “In Deutschland war es für die Boulevardpresse nach den Bankenpleiten der Vorjahre und den ungeheuerlichen Summen, die dabei vernichtet wurden und zu hohen Staatsverschuldungen beitrugen, ein Leichtes, in Griechenland einen Sündenbock zu präsentieren.
Weite Teile der Bevölkerung ließen sich mit diesen monokausal ausgerichteten Erklärungsangeboten für eine undurchschaubare Eigendynamik in der Finanzwelt  zufriedenstellen und hatten den gewünschten „Schuldigen“ für das Desaster. Nachdem BILD und FOCUS die griechische Bevölkerung binnen kurzer Zeit stigmatisiert und abgewertet hatte, war vor allem die Bereitschaft der deutschen BürgerInnen gegen Null gesunken, Mitleid oder Solidarität für die Menschen in Griechenland zu empfinden.
Vor diesem Hintergrund konnte sich die deutsche Regierung sicher sein, dass die extrem harten Sparauflagen für Griechenland jederzeit im eigenen Land (mehrheitlich) gebilligt werden. Auch konnte so von riesigen Summen (z.B. für sogenannte Bad Banks oder für Target2-Salden) abgelenkt werden, für die die Bundesrepublik oder die Bundesbank zusätzlich gerade stehen muss, völlig unabhängig von Griechenland. Eine hartnäckige und gleichzeitig wirkungsvolle Gegenöffentlichkeit entstand nicht.

In Griechenland konnte beobachtet werden, dass sowohl die selbst verschuldeten Probleme wie auch die Einflüsse der globalen Finanzkrise differenziert diskutiert wurden. Außer wenigen Ausrutschern, in denen die harte Politik Deutschlands als Fortbestand einer kaltherzigen Geisteshaltung, die aus der Nazizeit stamme, konstruiert wurde, versuchte man auch Verständnis für die innenpolitischen Rechtfertigungszwänge der Geberländer zu vermitteln.

Wesentlich stärker als in Deutschland wurde in Griechenland aber der Diskurs auf die Straßen und Plätze getragen. Bei zahllosen Demonstrationen und Aktionen kamen öffentlichkeitswirksam auch viele Hintergrundsinformationen an die Oberfläche, die in der deutschen Presse weitgehend ausgeblendet wurden.

Vor den Wahlen (14. Juni 2012) waren auch in Griechenland Artikel zu verzeichnen, die die Strategie einiger deutscher Zeitungen aufgriffen, einen Sieg der Linken und einen Austritt aus der Eurozone sehr düster als Absturz in Chaos und Staatsauflösung zu prognostizieren. Dies schürte in einer ohnehin existenzbedrohlichen Situation diffuse Ängste und gab möglicherweise den Ausschlag für die knappe Mehrheit für die jetzige, konservative Regierung.

WATP: “Gab es im Laufe Ihrer Analyse Hinweise dafür, dass die mediale Berichterstattung in der Krise den politischen und wirtschaftlichen Ereignissen voraus geeilt ist und so eventuell Entwicklungen befördert oder verhindert hat, die zu einer Zuspitzung der Situation führten?”

E.Butulussi: “Auf der griechischen Seite könnte wieder der Einfluss der Medien auf die Wahlergebnisse der 14. Juni 2012 genannt werden. Die Mehrheit der griechischen Medien und besonders das Fernsehen haben auf jeden Fall eine entscheidende Rolle bei der Verhinderung des Siegs der Linken gespielt.”

H.Bickes: “Die Bankenkrise in den USA und deren weltweite Auswirkungen scheint viele Medien überrascht zu haben. In der Folge gerieten der Finanzsektor und die Auswirkungen auf einzelne Staaten oder auf Europa allenthalben wesentlich stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit. Vermissen musste man in vielen Zeitungen den Willen, die lokalen Auswirkungen der globalen Krise kompetent in ihrem systemischen Zusammenwirken zu untersuchen. Mein Eindruck ist, dass man rasch dazu überging, einzelne Staaten selbst für ihre Probleme verantwortlich zu machen. Damit wurde von den tiefgreifenden Konstruktionsfehlern, die das übernationale Zusammenspiel von Märkten zu einem sehr risikoreichen und undurchsichtigen Vorgang machen, lange abgelenkt. Es bleibt ungeklärt, inwieweit sich manche Medien sich dieser Tatsache sehr wohl bewusst sind.”

(sg)

*Bickes, H./Butulussi, E./Otten, T./Schendel, J./Sdroulia, A./Steinhof, A. (2012): Die Dynamik der Konstruktion von Differenz und Feindseligkeit am Beispiel der Finanzkrise Griechenlands: Hört beim Geld die Freundschaft auf? Kritisch-diskursanalytische Untersuchungen der Berichterstattung ausgewählter deutscher und griechischer Medien. München: iudicium Verlag

2 thoughts on ““Mit medialen Hetzkampagnen wurde ein völlig einseitiges Bild von Griechenland in die Köpfe der Deutschen gestanzt.”

  1. Mit großem Interesse habe ich das obige Interview gelesen. Dabei fiel mir die folgende Formulierung von Herrn Dr. Bickes auf:

    »Außer wenigen Ausrutschern, in denen die harte Politik Deutschlands als Fortbestand einer kaltherzigen Geisteshaltung, die aus der Nazizeit stamme, konstruiert wurde, versuchte man auch Verständnis für die innenpolitischen Rechtfertigungszwänge der Geberländer zu vermitteln.«

    Hierzu einige Anmerkungen:

    Wer nicht erst seit der Einführung des Euro, sondern seit den frühen 1960er Jahren politisch wach die Entwicklungen in Deutschland verfolgt hat, weiß, dass die Bezeichnung »kaltherzig« die Realität nicht adäquat wiedergibt, sondern die nicht erst seit der Zeit des Dritten Reichs virulente Abwertung alles Südländischen in der deutschen Weltsicht beschönigt. Das Herrenmensch-Denken hat nach 1945 niemals aufgehört, die Köpfe der Deutschen zu beherrschen. Im privaten Diskurs war es weiterhin präsent; nur, es öffentlich auszuleben wagte man nicht mehr. Das änderte sich mit der Wiedervereinigung und der Einführung des Euro. Was in den letzten Jahren die Einstellungen des Mainstreams zu den Nationen des europäischen Südens zunehmend vergiftet, ist also nicht nur Kaltherzigkeit, sondern unverblümter, althergebrachter Rassismus.

    Folglich ist auch das Wort »Ausrutscher« fehl am Platz. Denn bei einem Ausrutscher handelt es sich um einen »(oft geringfügigen) unwillkürlichen Fehler« (nach Wikipedia). Vielmehr gibt es in Griechenland offenbar aufmerksame Zeitgenossen, welche die Ursachen des rüden Umgangs Deutschlands mit den Griechen klar erkennen und benennen.

    So gesehen bekommt die Rede von den »innenpolitischen Rechtfertigungszwängen« einen anderen Sinn, nämlich den richtigen. Die Autoren der »Ausrutscher« vermitteln ihren Landsleuten die innenpolitischen Rechtfertigungszwänge in Deutschland exakt. Wie einschlägige soziologische Studien zeigen, fordert eine Mehrzahl der Deutschen von ihren Eliten das brutale Vorgehen gegen die Südländer. Auf der anderen Seite verspricht sich die deutsche Regierung mit ihrer antigriechischen Volksverhetzung Stimmengewinne bei der kommenden Bundestagswahl.

    »Konstruiert« ist diesbezüglich auf griechischer Seite gar nichts.

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